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Tragetuch und Co
Zwei Drittel der Weltbevölkerung tragen ihre Kinder. Noch vor 200 Jahren wurden auch in Europa Säuglinge und Kleinkinder in der Regel am Körper der Mutter getragen, dies allerdings vorwiegend in den ärmeren Schichten.
In den wohlhabenderen Klassen ließ man sein Kind von Ammen stillen, von Kindermädchen betreuen und machte auch Gebrauch von den ersten Kinderwagen, die im 19. Jahrhundert aufkamen. Seitdem ging die Tradition des Tragens immer mehr zurück. In westlichen Industrienationen erfuhr es in den 1970er und 1980er Jahren eine gewisse Renaissance. In den Industrienationen mit Ausnahme von Japan ist das Tragen selten geworden. Kinder werden heute weitgehend in Entwicklungs- und Schwellenländern am Körper der Eltern getragen, allerdings gelten dort Kinderwagen zum Teil als Zeichen von Wohlstand, so dass auch dort ein langsamer Umbruch zu beobachten ist, wie er in Europa im 19. Jahrhundert stattfand.
Es gibt neben Tragetüchern verschiedene andere Babytragehilfen durch die der Anteil der Eltern, die ihre Kinder tragen, wieder zunimmt. Der Instinkt des Babys sagt ihm, dass es nur sicher ist, solange es Körperkontakt hält (Tragling). Das Baby ist zufriedener und schreit weniger. Dies deckt sich mit einer Studie aus der Schweiz, nach der Kinder, die getragen werden, auffallend weniger weinten als Kinder einer Vergleichsgruppe. Das Kind ist nicht immer im Mittelpunkt, kann aber trotzdem alle Aktivitäten der Familie aktiv miterleben.
Bessere Mobilität
Wo man mit dem Kinderwagen große Umwege macht oder gar nicht durchkommt, hat man mit dem Tragetuch keine Einschränkung wie z.B. Treppen, unbefestigte Wege, hoher Schnee, Wanderungen, öffentlicher Verkehr etc.
Wärme und Bewegung werden bei Verdauungsproblemen (3-Monats-Koliken) von Babys empfohlen. Deshalb kann das Tragetuch da hilfreich sein. Direkter Körperkontakt reguliert die Temperatur des Babys. Fieber kann so leicht gesenkt werden. Das funktioniert natürlich auch ohne den Einsatz eines Tragetuchs. Auch im Winter unter der Jacke getragen hat man so die Körpertemperatur des Kindes immer unter Kontrolle. Beide Hände sind frei für andere Dinge wie Geschwisterkinder, Tiere, Haushalt, Arbeit etc. Klein und praktisch zum Mitnehmen (im Vergleich zum sperrigen Kinderwagen) Regelmäßiges Tragen fördert die Stärkung der Rumpfmuskulatur. Der Trainingseffekt hilft auch, Gewicht aus der Schwangerschaft wieder loszuwerden.
Was dagegen spricht
Man muss das (steigende) Gewicht des eigenen Kindes auch über die Schwangerschaft hinaus (er-)tragen. Bei medizinischen Problemen (Bandscheibenvorfall o. ä.) ist es unter Umständen nicht möglich zu tragen. Mit dem behandelnden Arzt und einer ausgebildeten Trageberaterin abklären. Sportliche Aktivitäten sind nur beschränkt möglich (alles, wodurch Stöße auf das Kind übertragen werden, etwa Lauftraining, ist zu vermeiden). Angebote die speziell auf getragene Babys ausgerichtet sind, sind noch selten wie z.B. Nordic Walking mit Kind, Kangatraining.
Ein Tragetuch oder eine Tragehilfe korrekt anlegen erfordert besonders am Anfang etwas Geduld. Es muss wie das Schuhe binden gelernt werden. Mithilfe einer ausgebildeten Trageberaterin lernt man allerdings die richtigen Handgriffe schnell und einfach. Wissenschaftler bezeichnen den menschlichen Säugling sowie Babys einiger Affenarten als Tragling. In der Tat haben menschliche Neugeborene – wie auch Affenbabys – den Klammerreflex (Moro-Reflex) beim Fallen sowie den Greifreflex (Palmar-Reflex). Biologen zählen den Menschen deshalb sogar zu den aktiven Traglingen, obwohl Menschenkinder sich nicht aus eigener Kraft am Körper der Mutter festhalten können und deshalb wie passive Traglinge von den Eltern getragen werden müssen.
Nicht gesundheitsschädlich
Befürchtungen, z. B. das Tragen sei schädlich für die Wirbelsäule, sind aus biologischer Sicht nicht haltbar. Auch medizinisch spricht nichts gegen das Tragen gesunder Säuglinge über längere Zeiträume. Nach verschiedenen Untersuchungen treten bei getragenen Kindern Wirbelsäulenauffälligkeiten nicht häufiger auf als bei Kindern, die im Kinderwagen gefahren werden. Vielmehr kommt das Tragen der Wirbelsäule des Säuglings sogar entgegen, da sich die doppelte S-Form erst während des ersten Lebensjahres entwickelt. Tragen in der Anhock-Spreizhaltung kann Hüftdysplasien vorbeugen, es sind zudem Fälle dokumentiert, bei denen bereits vorhandene Hüftdysplasien ohne medizinische Eingriffe wieder verschwanden, nachdem die betroffenen Babys im Tuch getragen wurden.
Wenn Eltern möglichst früh mit dem Tragen anfangen – gesunde Säuglinge können ab dem ersten Tag getragen werden –, wird auch deren Rücken durch langes Tragen nicht gesundheitsschädlich belastet. Gute Tragehilfen verteilen das Gewicht des Kindes entsprechend, die Muskeln der Eltern werden mit zunehmendem Gewicht trainiert und passen sich dementsprechend an. Ist das Kind für Bauchtragen zu schwer, kann es auf dem Rücken getragen werden, wo man das Gewicht durch Rucksäcke normalerweise gewohnt ist. Bei Rückenproblemen der Eltern sollte das Tragen allerdings eingeschränkt bzw. mit dem Arzt abgestimmt werden.
Stillen im Tragetuch
Ist das Baby vor dem Bauch oder auf der Hüfte eingebunden, so lässt sich damit auch diskret in der Öffentlichkeit stillen. Das Tragetuch kann auch als Sichtschutz verwendet werden.
Die Auswahl ist groß, die Wahl oft schwer
Mit einem einfachen Tragetuch haben Sie für jedes Alter eine perfekt passende Tragehilfe. Aber: Das Binden erfordert Übung, eine Trageberatung ist empfehlenswert, insbesondere Männer haben oft eine Abneigung dagegen, es ist manchmal etwas umständlich. Vor allem wenn man etwa ab einem halben Jahr auf dem Rücken tragen möchte entscheiden sich die meisten für eine zusätzliche Tragehilfe.Vor allem für die ersten sechs bis zwölf Monate kuschelig und angenehm. Jerseytücher müssen z.B. nicht jedes mal neu gebunden werden. Sie können das Tuch zuhause schon umbinden und das Kind dann vom Autositz raus direkt ins bereits umgebundene Tuch setzen.
Für bequemes, langes Tragen ist eine Tragehilfe mit Hüftgurt unbedingt zu empfehlen. Der Gurt verleiht eine optimale Gewichtsverteilung und auch Dreijährige können damit noch bequem stundenlang getragen werden. Neben dem Tragetuch ist auch ein Ringtuch sehr vielseitig, von Geburt bis ins Kindergartenalter, einsetzbar. Die Handhabung ist dabei einfach und das Kind sitzt in optimaler Anhock-Spreiz-Haltung darin. Allerdings ist die Gewichtsbelastung einseitig. Insbesondere ab dem Sitzalter ist ein Tragebeutel sehr praktisch, vor allem als einfache, schnelle Hüfttragehilfe.
Viele Tragemöglichkeiten bietet auch ein Mei Tai. Er besteht aus einem rechteckigen Stück Stoff, an dessen Ecken Bänder angebracht wurden. Dieser Stoff bedeckt – anders als beim Tragetuch – nur den Körper des Kindes. Die tragende Person bindet sich die Bänder als Hüftgurt bzw. Rucksackträger um.
Daneben gibt es auch Tragehilfen hauptsächlich für die ersten Monate sowie spezielle Hüfttragen für das Tragen (nur) seitlich auf der Hüfte oder den Hüftsitz, der eine Sitzfläche für das Kind bietet, das Kind muss jedoch zusätzlich gestützt werden.
Ob Tragetuch, andere Tragehilfen oder doch lieber Kinderwagen? Sie wissen am besten was gut für ihr Kind ist. Was für den einen gut und richtig ist, muss noch lange nicht für alle gut und richtig sein! Es gibt nicht „die Wahrheit“ Lassen Sie sich nicht verunsichern, sie machen instinktiv das Richtige.
Winter
Bei kälteren Temperaturen muss nicht auf das Tragen des Kindes verzichtet werden. Im Gegenteil, der Körper wärmt das Kind und verhindert so ein Auskühlen. Damit das Baby nicht zu dick eingepackt werden muss, gibt es verschieden Hilfen:
Eine Tragejacke mit Einsätzen hinten und vorne, die dem Kind genügend Platz bietet. Die beste Variante, da das Kind direkt an der tragenden Person ist und so am besten warm gehalten wird. Ein Einsatz für die eigene Jacke. So wird aus einer normalen Jacke eine Tragejacke. Ist nur für kleine Baby geeignet, da damit auch nur vor dem Bauch getragen werden kann. Ein Tragecover. Es wird über das Kind angelegt, vorne unter der offenen Jacke des Erwachsenen, hinten über der Jacke. Gut geeignet für Eltern die nur gelegentlich draußen tragen.
Sommer
Da Babys und Kleinkinder ihre Körpertemperatur noch nicht so gut regulieren können, müssen Eltern im Sommer besonders darauf achten, dass das Kind nicht überhitzt oder sich durch Schwitzen erkältet. Beim Tragen im Sommer profitiert das Kind vom Schwitzen der tragenden Person. Der kühlende Effekt der Transpiration wirkt sich auch auf das Kind aus. So sind zwar beide am Ende möglicherweise nassgeschwitzt, aber nicht überhitzt. Wird das Kind aus dem Tragetuch genommen, sollte trockene Ersatzkleidung parat sein, damit sich das Kind nicht erkältet. Für Neugeborene ist außerdem Sonnenschutz sehr wichtig. Über die Mittagszeit die direkte Sonne meiden, einen Sonnenhut der auch den Nacken schützt (oder ein Halstuch) sowie lange, leichte Kleidung aus saugfähigem Material (Naturfasern wie Baumwolle, Hanf, Bambus) anziehen. Immer auf genügend Flüssigkeitszufuhr achten und Pausen im Schatten.